Montag, November 01, 2004

OB an Vizeoffizial Dr. Alexander Pytlik

Lieber Herr Pytlik,

ich las soeben Ihren Artikel und es stimmt traurig, dass Sie es an selbstkritischer Reflektion so sehr fehlen lassen. Das ist auch nicht dadurch zu amnestieren, wenn es in den einleitenden Worten heißt: "Es sind fehlbare Überlegungen, getragen von vielen Informationen und Beobachtungen."

Auf die inhaltliche Seite (Homosexualität) will ich bewusst nicht Bezug nehmen, weil es mir zuvörderst um die Haltung geht, die erforderlich wäre, um überhaupt in vernünftiger Weise zu reden - oder gar mit dem Anspruch christlicher Nächstenliebe und Gnade. Darum greife aus dem langen Artikel nur eine Passage heraus:

ZITAT-ANFANG
Bereits am 21. Januar 2001 wagte es ein alter Studienfreund Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II., welcher ja in seinem römischen Jahren dem Päpstlichen Kolleg des Königreiches Belgien angehören durfte, nämlich Gustaaf Kardinal Joos (Gent), zur Frage der Homosexualität an sich Stellung zu beziehen. ... : „Ich bin bereit, mit meinem eigenen Blut zu unterschreiben, daß von denen, die sich selbst schwul oder lesbisch nennen, tatsächlich nur 5 - 10 Prozent auch homosexuell sind. Der Rest ist einfach sexuell pervers. Zögern sie nicht, das aufzuschreiben, ich verlange es. Wenn diese kommen, um vor meiner Tür zu protestieren, ist mir das egal. Ich werde die Tür sowieso nicht öffnen. ... Wirklich wichtig im Leben ist nur, wie wir vor Gott erscheinen werden.
ZITAT-ENDE

Wie wahr, wie unwahr - und die erste Frage, die sich dem Christen stellen sollte, will er nicht nur daher geredet haben, was ihm "wirklich wichtig im Leben" sei, müsste ihm lauten: "Würde Jesus Christus in gleicher Weise über solch Thema reden?" - Mir scheint das Gegenteil der Fall: Die Türen wären geöffnet. Selbstgefälligkeiten und Populismen verbieten sich gleichermaßen.

Doch noch eine weitere Passage, die mich aufhorchen lässt:

ZITAT-ANFANG
Und der in diese Fragen wissenschaftlich voll eingearbeitete Salzburger Weihbischof Prof. Dr. Andreas Laun meldete sich zu Beginn der Apostolischen Visitation im Interview mit der Deutschen Tagespost (Nr. 408 vom 20. Juli 2004) zu Wort: "... Aber aus zwei Gründen muß die Kirche mit homosexuellen Neigungen viel vorsichtiger umgehen: erstens, weil bei einem möglichen Fall des betreffenden Priesters der Schaden viel größer ist, wenn homosexuelle Beziehungen bekannt werden als bei der Beziehung eines Priesters zu einer Frau. Zweitens ...
ZITAT-ENDE

Geht es um das Bekanntwerden? Mehr Schein als Sein? Aus solchen Erwägungen erwächst Doppelmoral und das kann schon gar nicht christliches Anliegen sein. Richtig wäre hingegen: "Wir sehen diesen und jenen Zustand bei uns als Problem an und haben dazu folgende Meinung mit daraus sich ergebenden Handlungsweisen: ..."

ZITAT-ANFANG
"Zweitens scheint die Wahrscheinlichkeit eines Versagens eine erheblich größere zu sein bei homosexuellen Neigungen."
ZITAT-ENDE

"Wirklich wichtig im Leben ist", dass wir im Umgang miteinander individuelle Gerechtigkeit walten lassen und also einander nicht kollektiv verdächtigen. So ist es in jeglichem vernünftigen Recht und gewiss nicht minder für den Christen, denn ihm steht der einzelne Mensch vor dem Jüngsten Gericht und keine Prozente.

Grüße von Sven